14 April 2025

tales from the sales [part I ]

[ wenn das mit dem "endlich dieses Buch schreiben im Ruhestand"
noch was werden soll, sollte ich langsam mal anfangen
mit der Zettelsammlung.



Natürlich braucht auch diese Sammelbüchse als 
ALLERerstes:  Einen Namen.

Und da "SALES STORIES" als Begriff schon leidlich
 anderweitig missbraucht wird, startet heute:

TALES FROM THE SALES.

Enjoy. ]
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Wir sind in den frühen Nullerjahren, und um diese Zeit treiben sich
-vor allem in den entlegeneren Gebieten der Republik- in unserer
Branche noch einige Gestalten im Verkauf herum, bei denen
keiner so richtig weiß, wie

     a) die dort hingekommen sind
     b) die sich dort noch halten bzw. überleben.

Etliche von ihnen haben den Versicherungsverkauf irgendwann
mal abends nebenher angefangen, als Nebenberuf.

Speziell im Siedlungsgebiet der Sweben und Bajuwaren sind
die Landwirtschaft, Milch- und Nutzvieh nicht selten noch
des Vaters Hauptbroterwerb gewesen.

Und der Sohn (es ist fast nie eine Tochter) wollte dann
irgendwann lieber anders sein Geld verdienen.

In der Mehrheit der Fälle hatte es für die seitens der Eltern
mal gerne, mal weniger gerne gesehene akademisch fundierte
Karriere nicht gereicht.

Also: Versicherungsverkauf.
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       Frühjahr 2002.

Wenn man als Jüngster neu in ein etabliertes Team aus
Spezialisten hinzukommt und gleich mal eine neu geschaffene
Aufgabe/Funktion übernimmt, gehört es zum guten Usus,
den Frischling erst einmal auf dessen Vorstellungsrunde
zu den anerkannten Vollidioten im Vertrieb raus zu schicken.

Dieses Vorgehen hat im Wesentlichen dreierlei Zielsetzung:

     1) man kann dokumentieren, dass einer ausm Team "es dort
         noch mal probiert hat"
, einen Schritt voran zu kommen.

     2) der Frischling soll sich gleich anfangs die blutige Nase holen.

     3) das Team braucht endlich mal wieder was zu lachen.

Weil ich bei 3) nicht ganz mitspielte, heiratete ich
aus Rache 
eine von denen, aber das könnte
erstens auch ein wenig anders 
gelaufen sein damals
und zweitens hab ich das schon mal erzählt.

Also: Ich fahre raus und stelle mich bei den Vertriebspartnern vor.

Es wird -mit wenigen Ausnahmen- ein kleines Desaster.
Okay, liegt vielleicht auch an mir.

Ganz an der Ostgrenze meines Betreuungsraumes lebt:  Ulli.
Nennen wir ihn einfach Ulli.

Man soll einen Menschen keinesfalls nach seinem Aussehen 
oder Erscheinungsbild beurteilen, aber ich verspreche Ihnen:

In DEM Fall wird Ihnen das SCHWER gemacht:

Stellen Sie sich einen in einfachen, kurzen Hauptsätzen redenden
150 kg Oger mit engstehenden Augen, hoher Stirn unter der
strohigen Mecki-Frisur und den -außerhalb des UK-
Festlandes- schiefsten und schlechtesten Zähnen,
die Sie jemals sehen werden.

Jetzt stecken Sie das Ganze in den einzigen in diesem Formformat noch
erhältlichen Anzug (der daher kein guter mehr sein kann), und fertig -

Sie haben nun ein gutes Bild.

Nun schaffen aber die schwäbischen Frauen der Ostalb das Kunststück,
selbst bei einem von Zirkelstammbäumen und Dorfheiratsbrauchtum
geprägten Habitat sich noch ein gewisses Minimalmaß an Anspruchsdenken
zu erhalten.

Aus diesem Grund zieht Ulli die nachvollziehbare (da einzige) Option
und reist mehrmals im Jahr nach Thailand. Und nicht zum Wandern.

Mutmaßlich erlauben die dortigen Habitate weitaus geringeres
Anspruchsdenken unter den Weibchen - jedenfalls heiratet er dort
eine Thailänderin und die kommt auch mit nach Deutschland
und besucht regelmäßig ihre Familie daheim in Khao Lak.

In diesen Phasen fährt Ulli ebenfalls nach Thailand.

Allerdings nicht zu seiner Frau.
Und auch nicht an den gleichen Ort.

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       Frühjahr 2005.

Es lässt sich leider auch bei den hoffnungslosen Fällen nicht
immer vermeiden, dass ich sie besuche.

Ulli ist im späten Frühjahr 2005 -leider- wieder dran.

Weil ich die Anreise mit einem Mittagessen bei den damaligen
Schwiegereltern verbinden und anschließend noch beim
"Schuh Herrmann" vorbeischauen kann, nehme ich es gelassen.

Da sitze ich also ihm (er telefoniert) gegenüber in seinem
schäbigen Sperrmüll-möblierten Siebzigerjahre-Büro,
dessen defekte  Streifenlamellen an den milchigen Scheiben
nach Jahrzehnten im kalten Zigarttenrauch riechen -

da geht die Tür auf und eine asiatische Frau mit einem
kleinen Kind auf dem Arm tritt ein.

Erst halte ich sie für eine Kundin.

Doch dann geht die Frau wortlos und selbstverständlich
hinter den Schreibtischen vorbei und verschwindet im
Hinterzimmer bzw. in der Büroküche.

Ulli sieht sie ohne zu reagieren und telefoniert weiter.

Die Frau kommt mit einem Schlüsselbund in den Händen
zurück und verlässt ebenso wort- und grußlos das Büro.

Die Tür fällt hinter ihr wieder ins Schloss.
Durch das Schaufenster sehe ich sie noch die Straße hochlaufen.

Ulli beendet das Telefonat auf seinem Spiralkabeltelefon
und legt den vor Ohrschmalz und Schorf speckenden Hörer
auf die Marlboro-vergilbte Gabel.

Er erklärt mir zum zehnten Mal, warum hier, wo er lebt,
keine Umsätze möglich seien.

Ich schreibe es zum zehnten Mal widerspruchsfrei auf
und verabschiede mich zum Mittagessen bei Schwiegermama.

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       Sommer 2006.

Ich frage die damalige Lieblingskollegin Andressa (die Regional-
Leiterin unseres Gebietes) ob wir Freitag mittags zusammen essen
gehen zum Wochenausklang.

Sie verneint, sie habe einen wichtigen Termin zusammen mit unserem Chef.

Dabei tut sie ein bisschen zu sehr wie "random abwesend".
Irgendwas passt da nicht.

Die Woche drauf montags platzt dann die Bombe.
Der Hergang geht etwa so:

Ulli hatte seine Thai-Frau bei unseren eigenen Laden lebensversichert.

Weil die Todesfallsumme ohne nähere Einkommensnachweise damals
bei EUR 250.000 lag, betrug die an ihn auszuzahlende Summe im Fall
ihres Todes -surprise, surprise- EUR 250.000.

Ulli hatte seine Frau in Deutschland als vermisst gemeldet, als sie während
des Tsunamis Ende 2004 aus Khao Lak nicht zurückgekehrt und nicht
mehr erreichbar gewesen war.

Ziemlich zeitgleich hatte er bei den Behörden in Khao Lak beantragt,
die Todesfeststellung einzuleiten.

Eine entsprechende Urkunde wurde ihm zugestellt.

Mittels dieser konnte Ulli seine Frau für tot erklären lassen und die
Auszahlung der Risikolebensversicherung rechtmäßig einleiten.
Was unser Unternehmen auch tat.

Indes, irgendwas schien mit den Papieren aus Khao Lak nicht ganz
gepasst zu haben. Und mit mutmaßlich vielen weiteren damals schnell
ausgestellten Urkunden ebenfalls nicht - jedenfalls hatten die lokalen
Behörden anderthalb Jahre lang weiter ermittelt.

In der ersten Jahreshälfte 2006 meldet sich dann die Polizei in Khao Lak
bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart.

Unter anderem mit einer heimlichen Videoaufnahme.
Welches den Bang Niang Wochenmarkt in Khao Lak zeigt.

Auf welchem die angeblich tote Ehefrau beim Einkauf zu sehen ist.



Die schwäbischen Ermittlungsbehörden stoßen alsbald auf die
Zahlungsströme der Todesfallauszahlung und informieren den
auszahlenden Versicherer - also uns.

Parallel dazu wird sein Versicherungsbüro observiert - und die 
nach einigen Wochen dort wieder ein- und auskehrende Frau als
die verschollen dokumentierte tote Ehefrau identifiziert.

Unsere Revisionsabteilung reagiert schnell.
Die IT bereitet alles termingenau vor.
Der Vertrieb bekommt Handlungsanweisungen.

Und dann stehen mein Chef, Andressa, der IT-Spezialist und
der angereiste Revisionsmann Freitag mittag kurz vor Ladenschluss
in der Bürotür des völlig verdutzen Ulli und händigen ihm die
fristlose Kündigung aus, bauen unsere per Fernwartung zuvor
blitzartig gesafelockte Computer ab, dokumentieren die ausgehändigten
Papiere und der Mann von der Revision informiert Ulli über die
heute erfolgte Betrugsstrafanzeige.

Nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei.

Monate später enden unsere Versuche, die Betrugssumme von
Ulli zurückzuerlangen mit der Abgabe seiner eidesstattlichen
Versicherung. Zu diesem Zeitpunkt hat er längst die Insolvenz
vorangetrieben.

Zahlungen an seine Ehefrau können nicht nachgewiesen werden
und wären ohnehin nutzlos - es besteht ein Ehevertrag und seinen
eigenen Angaben zufolge hat er das Geld ohnehin in
asiatischen Casinos verzockt.

Dies ist im Prinzip nicht mal unglaubhaft - seine Spielerkarriere
ist jahrelang ein gehütetes, aber offenes Geheimnis.

Kein Jahr später arbeitet er wieder anderswo in unserer Branche.

Und wie mir Google Maps bestätigt:
Auch noch im gleichen Büro.

2 Kommentare:

  1. Der Ulli, der kleine Ganove.

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    1. Man glaube ich im Konsens aller Menschen festhalten, dass er weder vom Körperumfang noch von dem Potential der kriminellen Energie her als „kleiner“ Ganove durchgelassen werden wird.

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