08 November 2023

vom Klingelton, der nur ein einziges Mal läutete

 

[ es gab schon längere Zeit
keine Kurzgeschichte,
keine rein fiktive Erzählung mehr im Blog.

Doch neulich auf einer Dienstfahrt kam mir
die Idee für einen verdammt guten Handy-Klingelton.

Den ich abends am Schreibtisch zurecht schnitt.
Und mir währenddessen eine Verwendung für ihn ersponn.

Eine rein fiktive.]


Es hatte schon wirklich lange her sein müssen,
dass er so sehr gelächelt hatte, als sein Telefon läutete,
während er -noch in Filzpantoffeln und im Morgenmantel-
gerade seinen ersten Schluck aus der morgendlichen
Kaffeetasse genommen hatte.

Im Gegenteil war er zu Zeiten, da er noch berufstätig gewesen war,
eher ein Telefoniermuffel gewesen - stets hatte er die nonverbale
Kommunikation in beruflichen Dingen bevorzugt.

Und dies hatte nicht nur an der besseren Dokumentierbarkeit,
der besseren Nachweisbarkeit der übermitteln Inhalte, der
klaren Überlegenheit der Email gegenüber dem fernmündlichen 
Gespräch zu tun gehabt.

Es hatte vor Allem damit zu tun gehabt, dass die Jahre im Vertrieb,
im Kundenkontakt, im Service ihn zu einem fast schon menschenscheuen
Gesellen hatten werden lassen.

Und so ehrlich musste man sein - die nichtberuflichen Begegnungen
mit Menschen im öffentlichen Raum wie beim Einkauf, im ÖPNV
im Straßenverkehr oder auf Ämtern waren in Summe wenig geeignet, 
seiner progredienten Misanthropie Einhalt zu gebieten.

Das Gefühl, jetzt irgendjemandem sofort für eine unbekannte
Zeitdauer für ein unbekanntes Themengebilde als Zuhörer
zur Verfügung stehen zu müssen, sobald man seinen Anruf entgegen
genommen hatte, war ihm auf Basis immer umfangreicherer Erfahrungen
irgendwann zu einer derart vermeidenswerten Situation verleidet,
dass er eines Tages sowohl sein Dienst- als auch sein Privathandy
permanent auf stumm geschaltet hatte.

Seit er aber im Vorruhestand war, hatte sich dies wieder geändert.

Nach etwa sechs Monaten des verstummten elektronischen
Posteingangs im Job und dem sogar für seine Einschätzung unerwartet
rasch abgeklungenen Austauschs von Handy-Textnachrichten mit seinen
früheren Arbeitskollegen hatte er das ihm noch verbliebene Privathandy
erstmals nach Jahren wieder auf "laut" gestellt.

Nicht, dass ihn etwa noch viele Anrufe erreicht hätten:
Die Gesamtheit aller Anrufe auf seinem Handy in diesen 6 Monaten
konnte er an einer Hand abzählen, und da waren die Upselling-Versuche
seiner Handy- und Strom-Provider bereits mitgerechnet.

Eine womöglich nächtliche oder frühmorgendliche Ruhestörung war
durch das Lautschalten seines Mobiltelefons also kaum zu befürchten.

Und dennoch hatte er einer sehr frühen Gewohnheit seines Lebens
folgend gut vorbereitet sein wollen. Auf Menschen. Auf ihre Anrufe.

Für jeden Kontakt in seinem Mobiltelefon hatte er einen eigenen,
speziellen Klingelton, der nur für diese Person galt:

Er liebte die Idee, schon auf dem Weg zum klingelnden Telefon zu wissen,
wer ihn sprechen wollte, sich in den Sekunden bis zum Gespräch
zu überlegen, was er sogleich wohl würde erfahren dürfen,
sich noch einmal rasch die letzte persönliche Begegnung mit ihm
vor Augen zu führen.

Tatsächlich waren die allermeisten dieser kleinen akustischen Preziosen,
welche er auch noch im Großteil der Fälle selbst geschnitten oder gar
aufgenommen hatte, freilich vergeblich gewesen. 
Und spätestens mit dem Verschwinden der letzten langjährigen Partnerin
aus seinem Leben war sein Telefon zu einem vollends stummen Begleiter geworden.

Nicht so an diesem Morgen.
An diesem Morgen geschah etwas, mit dem er auf gar keinen Fall
gerechnet hatte. Erst recht nicht in Filzpantoffeln und Morgenmantel.

Und gerade weil das Ereignis ihm so ganz und gar unwirklich,
ja unwahrscheinlich erschien, hatte er zunächst
an eine Sinnestäuschung geglaubt.

Aber es war keine.
Gerade hatte er noch an seiner Kapselkaffeemaschine gestanden,
als ihm eindeutig die Klänge eines Spinetts in die nicht mehr ganz
voll funktionsfähigen Ohren schwammen.

Wie angewurzelt war er mit der Kaffeetasse in der Hand kurz erstarrt,
dann hatte eine in Monaten nicht mehr genutzte Schnellkraft
seine Beinmuskulatur überfallen und seinen erst vor Kurzem
dem Luxusbett entstiegenen Körper in eine sprunghafte Bewegung
zum Telefon auf dem Esszimmertisch hin versetzt.

Ein Blick auf das Display brachte ihm die letzte Gewissheit.
Keine Sinnestäuschung.
Ihr Klingelton, ihr Profilfoto.

Einmal noch tief ausatmen, dann nahm er mit einer Fingerwisch-
Bewegung das Gespräch an.

"Da bist Du ja", bemühte er sich um eine betont unangespannte Eröffnung.
"Jaa, da bin ich!" antwortete sie, genau in der erwarteten Tal-Berg-Tal-Stimmlage.

"Bist Du alleine?" fragte er sicherheitshalber nach.
"Das bin ich" antwortete sie, "die Jungs sind diese Woche beide noch
bei ihrem Vater, der Kleine studiert ab nächsten Monat in Wien und
der Große wechselt zum Frühlingssemester nach Passau."


"Beide schon aus dem Haus? Wie schnell die Zeit verging..."
"Jaa, wie schnell die Zeit verging!"
Wieder diese Tal-Berg-Tal-Stimmlage.

"Du hattest das zwar eigentlich erst vor, wenn wir mal
alt, runzlig und faltig sein würden...also falls das noch ein
bisschen warten kann, könnte ich Dich auch schon vorher abholen?"


"Wann denn?"
"Ich bin in 4 Stunden da."

"Ich weiß aber noch nicht, ob ich in 4 Stunden
schon so weit bin, in Dein Auto zu steigen!"

Wieder dieses kesse ich-leg-mich-aber-jetzt-auf-keinen-Fall-fest.

"Das wirst Du."

Und sein Grinsen im Gesicht hatte sie auf jeden Fall hören müssen,
noch bevor er auflegte und die inzwischen etwas zu milde
Kaffeetasse an seine Lippen setze.

Auf dem Weg unter die Dusche glitt sein Morgenmantel zu Boden
und die nächsten Stunden im Auto würde ihm der Klingelton,
den er ab jetzt nie wieder brauchen würde, nicht mehr aus den Ohren gehen.

10 Kommentare:

  1. Dabei weiss doch jeder: Das Mobiltelefon gehoert morgens in die Morgenmanteltasche, um alsdann verzweifelt gesucht und nicht gefunden zu werden, weil es halt Ewigkeiten nicht klingelt :-D

    (Wunderschoen geschrieben!! Life Goal: Dass irgendwann nochmal irgendjemand so zarte Gedanken an mich hat. Klappt vllt sogar, denn noch sind wa ja zwar alt, aber nicht tot, nech?! :) )

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke für die Blumen :-).
      Und Morgenmanteltaschen sind wahre ZEITKAPSELN! 😄

      Übrigens habe ich oft ein schlechtes Gewissen, wenn Worte aus meiner Feder eine Sehnsucht im Gegenüber füttern.

      Löschen
    2. Echt jetzt? Dabei bist doch Du es, aus dessen Zeilen immer wieder diese Sehnsucht, diese Suche nach irgendwas / irgendwem spezifischen zu lesen ist.

      Wir Leserinnen (ausdruecklich genau so gegendert und ich hoffe und denke, ich spreche da nicht nur fuer mich) geniessen das einfach als solche Sehnsuechte, wie sie z.B. Filme produzieren. So ein "hachz...."

      ... wo man sich kurz reinlehnen und den Alltag vergessen kann.
      Und das ist GUT :)
      Alltag haben wir naemlich alle genug.

      Löschen
    3. "Alltag haben wir nämlich alle genug".
      Wahre Worte.

      Und ich hab den Auftrag verstanden, ich werd' mir Mühe geben,
      zu weiteren "Genießermomenten" beizutragen.^^

      Löschen

  2. Wenn man morgens, direkt nach dem Aufstehen, schon lächeln muss.
    Ein wunderschöner Text.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. LÄCHELN ist ein DÜRFEN, kein Müssen,
      und wir sollten nie, nie nie aufhören, dafür dankbar zu sein,
      dass wir das dürfen.

      Löschen
    2. Aber es war anders gemeint: Lachen müssen, weil etwas so schön ist, dass man die Wahl nicht zu lächeln gar nicht hat.

      Löschen
    3. Oh, stimmt, wie konnte ich das falsch verstehen? Tsstss.

      Löschen

Hinterlassen Sie dem Feuervogel an dieser Stelle gerne Ihre Gedanken:
Er freut sich über Ihre achtsame Wortwahl, einen freundlichen Ton und Ihren von Miteinander beseelten Gedankengang.
Und in allen anderen Fällen löscht er kommentarlos.
Falls Sie Probleme haben Ihren Kommentar angemeldet abzugeben: Suchen Sie in Ihren Browsereinstellungen nach "Cookies von Drittanbietern blockieren" und deaktivieren Sie diese Option.