17 Mai 2023

vom Sonntagsruck

Dieser Frühling ist mir zu kalt.
Eindeutig ist er das.

Es gab schon Jahre, in denen man Anfang März bereits
im T-Shirt draußen in der Sonne auf der Terrasse hat
sitzen können.

Und es gibt Jahre wie dieses, wo ich immer noch jeden
Morgen die Heizung anstelle - und wenn ich rausgehe, 
trage ich Langärmliges und eine Jacke. Mitte Mai, WTF.

Wie oft ich schon am Fenster gestanden war die letzten Wochen,
auf die kleine Wetterstation schauend, missmutig die Temperatur
und die Niederschlagswahrscheinlichkeit ablesend, um dann
doch wieder den Schlüssel neben die Haustür zu hängen und
die Ebike-Pläne erneut aufzuschieben.

Halten Sie mich für eine Memme - aber bei 14°C fahre ich
nicht mit dem Fahrrad raus, mach ich nicht, keine Chance.

Hinzu kommt:
Selbst wenn es dann mal schön ist, muss ich mich derzeit
zu absolut Allem regelrecht zwingen.

Zwingen zu Arbeiten,
Zwingen zu vernünftiger Ernährung,
Zwingen, vor die Tür zu gehen.
Auf ein ernstes Wort?
Ich hab mir diese Erwachsensein-Kacke
echt nicht so anstrengend vorgestellt.
Aber am Sonntag war es soweit.
Da gab ich mir einen Ruck.

Das Wetter war schön.
Die Temperaturen ließen keine Ausrede glaubhaft erscheinen.
Ich wollte nicht noch einen Tag vor dem Computer verbringen.

Also: Schnell umziehen, schnell ein paar Sachen einpacken.
Schnell die Schlüssel und RAUS aus dem Haus.
Bevor der innere Schweinehund wieder aufwacht und womöglich siegt.

Schnelle Schritte das Treppenhaus hinab.
Unten stelle ich fest: Handyakku ist auf 20% runter.
Und das Ebike ist nur gut zur Hälfte geladen.

Egal.
'Muss es heute mal ohne Navi-Begleitung gehen.
Und der Akku vom Fahrrad wird sicherlich halten.

Ich fahre eine andere Strecke als sonst den Berg hinauf.
Oben angekommen eine erste kleine Pause.

Ich bin froh, mich heute überwunden zu haben.
Der Ausblick belohnt mich.

Da fällt mein Blick auf einen Gehwegaufsteller.
Eine Weinverkostung wird beworben.
Heute.
Und gleich um die Ecke.

Also geht es weiter, grob in die Richtung der Veranstaltung.
Aber ich nehme noch ein paar Kurven in Richtung eines
anderes Weingutes.


Die Strecke ist sogar durch die Terrassen der Weinberge
völlig mühelos. Dem Ebike sei Dank.

Ich genieße es, hier allein unterwegs zu sein.
Nur für mich.

Kurz kommen mir Erinnerungen an einige der
auseinandersetzungsreichen Fahrradausfahrten
mit der Exfrau aus früheren Jahren in den Sinn. 

Wie gründlich ich sie nach der Trennung verloren hatte,
diese Furcht vor dem Alleinsein.
Darauf bin ich ein wenig stolz in meinem Leben.
Aber: Schon komisch.

Irgendwann verfahre ich mich ein bisschen, höre aber
aus  dem Weinberg oberhalb von mir viele Stimmen.

Dort muss die outdoor-Verkostung sein?
Und tatsächlich:
Zufällig bin ich richtig gefahren, es sind schon einige Besucher vor Ort.


Dieser Platz gilt auf Google Maps als Aussichtspunkt für
eine schöne Aussicht, ich hatte ihn ohnehin bereits markiert
als "irgendwann mal besuchenswert".

Und ich werde heute wahrlich nicht enttäuscht
für das Überwinden des inneres Schweinehundes.


Ich stelle mein bike ab und gehe zum Ausschank.
Sie haben einen Riesling, wie schön.
Auch wenn es ein halbtrocken-fruchtiger ist.

Egal.
Heute ist alles egal.
Hauptsache allein hier draußen sein dürfen.



Sie haben auch noch eine leere Weinkiste
und ein Sitzkissen für mich übrig.

So setze ich mich ganz an den Rand des Geschehens,
dorthin, wo ich mich wohl fühle, und genieße Ausblick,
Wetter und Wein.

Und ich genieße meine Gedanken.
An Menschen, die ich immer lieb haben werde.


Anschließend fahre ich weiter.
Das Wetter hält sich wacker, obgleich sich jetzt, gegen
Nachmittag, schon auch die eine oder andere Wolke vor
die Sonne schiebt und sofort für empfindlich niedrigere
Fahrtwindtemperatur sorgt.

Die Speisekarte von einem der Biergärten in der Umgebung
möchte ich noch anschauen, komme aber ungeplant vorher an
einem anderen Biergarten vorbei, der mir völlig unbekannt war.

Und mit Blick auf die vielen Menschen, die mir heute bereits
unterwegs begegnet sind, scheint das nicht nur mir so zu gehen:
Die Location ist zumindest im Außenbereich unbesucht.


In der Durchreiche zwischen Gastroküche und dem
Biergarten finde ich die Wirtin. Und weil sie AlpIrsb8cher Weizen
da haben, parke ich mein bike erneut und nehme Platz im Garten.


Zeit, ein paar Nachrichten zu beantworten.
Zeit, das Gesicht ein wenig in die Sonne zu halten.
Zeit, die Stille einmal zu genießen, trotz des Pfeiffens
auf den Ohren.

Zeit, dankbar zu sein und sich vor Augen zu halten,
wie gut man es hat.

Und wie sehr es doch meist belohnt wird,
den inneren Schweinehund zu überwinden.


6 Kommentare:

  1. Bier nach Wein, das ist fein! :-)
    Gut, dass Sie sich mal wieder an die frische Luft getraut haben. Tut auch Ihrem Teint gut. ;-)

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    1. Oh ja. Der Teint. So wichtig. Und so bedürftig zur Zeit....

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  2. Schön so eine Tour mit Überraschungen - es !ist erstaunlich wie oft man etwas finden darf

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    1. ...wenn man RAUS geht! Und sich dazu auch AUFRAFFT! :-D

      Nicht ganz leicht bisweilen.

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  3. Diese Momente ganz allein sein zu können, sind für mich immens wichtig. Es fühlt sich dann so ein wenig an, als könnte ich die Welt um mich herum wieder zulassen. Das Schöne, Wunderbare und Natürliche. Als ob ein Schirm heruntergelassen wird. Sehr wohltuend finde ich
    So las ich Ihre Zeilen auch

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    1. Genau so empfinde ich es.
      Auch wenn es -wie am Wochenende- dafür manchmal Momente gibt, in denen es...ein bisschen so was wie bezahlt werden muss.

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