08 Dezember 2022

was Einen verfolgt

 
Schon erstaunlich, was Einen so verfolgt.
Was an Einem dran bleibt, was einfach nicht mehr weg will.

Es gäbe genug "reale" Erlebnisse und Geschehnisse, die
eher das Potenzial hätten, mir anzuhaften, in der Erinnerung
zu bleiben, als ein Comic

Vielleicht ist es sogar so, dass mir eine Menge an Dingen,
die ich getan, gesagt, oder unterlassen und nicht gesagt hatte,
wohl besser mal im Kopf, im Gedächtnis geblieben wären
als so ein Comic.

Aber erstens ist es nun mal so - dieser Comic verfolgt mich,
ich denke immer wieder an ihn, seit Jahren, ich hatte das letzte
Bild aus ihm für gute drei Jahre sogar ausgedruckt direkt vor mir,
an meinem Bildschirm.

Jeden Tag sah ich ihn an, jeden Tag gab ich ihm die Gelegenheit,
mich ein kleines bisschen zu foltern, mich mit Nase und Kopf
täglich direkt drauf zu stoßen.

Der Comic ist inhaltlich die Neuerzählung einer Geschichte,
die Jeder kennt:

Der Froschkönig.

Sein Erschaffer heißt Pedro Arizpe - von ihm gibt es auch
fröhliche Comicstrips, aber speziell das Jahr 2015 (aus dem
auch dieser hier ist) scheint eher ein Jahr der Nachdenklichkeit
für den Künstler gewesen zu sein.

In dieser Comic-Version hat der Froschkönig eine Partnerin, 
eine Froschfrau, die von seiner Verzauberung nichts wusste.

Und die weinend und trauernd zurückgelassen wird, in ihrem
Teich, als der Frosch erst geküsst und entzaubert für immer
seine nasse, frühere Welt verlässt.

Während ich meine Freundin kennengelernt hatte und sie
regelmäßig zu treffen begonnen hatte, war ich noch verheiratet,
und einer der Gründe, nie offen mit meiner Exfrau darüber geredet
haben zu können, war dieser eine Gedanke:

Ihre Trauer, Ihre Enttäuschung zu sehen, bei einem Menschen,
der aus meiner Sicht so sehr das Gegenteil, also Glück, Zuversicht,
Verlässlichkeit, lebenslange Treue verdient hätte,
dieser Gedanke hat mich jahrelang nachts verfolgt.

Und dieser Frosch-Comic war sozusagen die Verbildlichung 
von etwas, das sich ohnehin als unausweichlich abzuzeichnen
begonnen hatte. Und vor dem wegzulaufen als Reaktion
ich mich entschieden hatte.

Die nächste Frage müsste, sollte nun lauten: Weshalb?

Wieso hast Du Dir das angetan, diesen täglichen Horror-Comic,
was war Deine Veranlassung, Dich damit selbst zu quälen?
Welchen Zweck erfüllte diese offensichtlich schädigende
Handlungsweise für Dich?


Gute Frage, immer noch, auch nach der langen Zeit noch.

Vielleicht versuchen wir in Zeiten der Ratlosigkeit und des
Zögerns eine Orientierung zu finden, einen Impuls für eine
Entscheidung herauszukitzeln, der uns das Aktivwerden
vielleicht irgendwie erleichtern könnte, der den zu erwartenden
Schmerz irgendwie überwindbar erscheinen lassen möge.

Vielleicht ist das "wir" an dieser Stelle auch zu sehr
unrechtmäßig vereinnahmend.
Vielleicht bin auch einfach ich nur so.

Vielleicht war es in mir verankert, angelegt, ein wiederkehrend
begangenes Unrecht abzugelten mit wiederkehrend selbst
zugefügtem Konflikt, Leid, ein sich Abarbeiten an der eigens
und vollständig selbst verursachten und fortgeführten Situation?

Kann sein.

Vielleicht überschätze nur ich diese vermeintliche Rolle,
die ich vielleicht einmal eingenommen haben mag im Leben
meiner Exfrau?

Vielleicht überhöhe ich diese Rolle, um eine nachträgliche
Rechtfertigung für meine Entscheidungen zu erlangen.

Und vielleicht hätte die erdrückende Mehrheit aller Anderen
in meiner Rolle, an meiner Statt einen Weg gefunden,
klüger, fairer, direkter, ehrlicher, aufrichtiger zu agieren.

Offen gesagt erscheint mir dieser Gedanke absolut plausibel.

Nicht, dass mich das hier und heute zu einem besseren Menschen
machen würde - Erkenntnis allein vermag das nie.

Aber erstens ist sich selbst zu erkennen und zu begreifen
eventuell nicht der verkehrteste erste Schritt.

Und zweitens vermag ich zwar wirklich keine Aussage darüber
zu treffen, was Andere so quält, was sie treibt, was sie verfolgt.

Aber bei ein paar der Sachen, die das bei mir so tun, bin ich
schon ganz froh in meinem Glauben daran, dass Anderen
diese erspart bleiben.

Und besonders freut mich der Gedanke, dass meiner Exfrau
diese meine speziellen Verfolger erspart bleiben. 

Sie wird dafür andere, mir mutmaßlich unbekannte Verfolger
ihr Eigen nennen.

Aber diese hier, das sind halt meine.
Egal wie albern oder unnachvollziehbar sie 
Manchem erscheinen mögen.



1 Kommentar:

  1. So, wie SIE das erzählen, klingt es nach etwas, das ich mir lieber wünsche als das, was ich darin gesehen habe - und was ich erlebt habe.
    Mein einziger Wunsch dazu ist, dass eines Tages alle, die dabei waren, es genau SO sehen, wie SIE, Miss Whimsy.

    Danke :-)

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