12 September 2022

Morgenspaziergang


Das ist ja das Schöne am Älterwerden:
Diese zunehmende Vielfalt, in den Tag zu starten!

Wachte man früher™ morgens kurz nach 6
nahezu ausschließlich wegen dem harten Ding
zwischen seinen Beinen auf, sind nun mit ü50
die möglichen Gründe weitaus diverser.

Die Aufwachgründe unterliegen nun nicht mehr
der exklusiven Diktatur der eigenen Hormone.
Oh nein.

Vielmehr wurde der Schwellkörperdespot abgesetzt und
von einer veritablen 5-Parteien-Demokratie abgelöst,
bestehend aus den Fraktionen

  • Blase / Darm drückt
  • Schulter-/Kopfschmerzen
  • Albtraumfabrik 
  • Kaffeedurst
  • unentschiedener Penis

Wie in Mehrparteienregierungen üblich erfolgt das
Gewecktwerden bisweilen in einem Kanon aus den
verschiedenen Fraktionen, so auch neulich, als mich
eine der seltenen Koalitionen aus ALLEN zur denkbar
unchristlichsten Morgenstunde aus dem Schlaf jagte.

Selbst mit noch nicht öffnungswilligen Augen war mir
bald klar: Das wird nix mehr, Du musst aufstehen.

Noch mit verklebten Augen zog ich den Balkontür-
Rolladen hoch und öffnete - was für eine kalte, klare,
wunderbare Luft, die mir da entgegenkam!

Und da an Weiterschlafen ohnehin nicht zu denken war,
beschloss ich in weniger als 100 Sekunden nach dem
Aufstehen etwas zu tun, was ich seit Monaten, achwas
 seit Jahren nicht mehr getan habe:

Einen Morgenspaziergang zu machen.

Um die frühe Uhrzeit bedurfte es noch eines dünnen
Pullovers und einer dünnen Jacke.

Schön auch, wenn man morgens
kurz nach sechs bereits befähigt ist
den Genitiv korrekt einzusetzen.

Und kurz nach sechs ist es auch noch zu früh für die
Jogger, Walker, Biker und Gassigeher - so bin ich für
mich allein, es begegnet mir niemand.

Weit habe ich es nicht, bis ich unter meinen Füßen
keinen Asphalt mehr habe: Nur wenige Schritte, dann habe
ich den Ortsrand hinter mir gelassen.

Kann man nix sagen, also die Lage ist wirklich klasse,
da wo ich aktuell lebe.

Ein paar Schritte weg von daheim und schon fröstele
ich ein wenig.
Ein wunderbares Gefühl. So alive.

Und gleich noch genießbarer, wenn man wochenlang
vorher nur "es ist zu fucking heiß!" gespürt hat.

Aber so früh morgens ist diese Welt so ruhig und frisch,
wie sie es nur sein kann.
Sie ist außerdem so ruhig und so zurückhaltend, so sanft,
wie sie es nur immer sein sollte.

Die Katzen der Nachbarschaft streunen von den Feldern
und Wiesen zurück zu ihren Heimen und Dosenöffnern.

Die Krähen besprechen auf den Bäumen lautstark die
Ereignisse der vergangenen Nacht.

Die Elstern sitzen in unerwartet guter Nachbarschaftlichkeit
neben ihnen auf den Zweigen und putzen sich.

Die Tauben versammeln sich familien- und gefieder-
übergreifend auf den abgemähten Stoppelfeldern zum
gemeinsamen Frühstück.

Und ich gehe an all dem vorbei,
an der kleinen Brücke über den Bach,
an den verwildernden Erdbeerfeldern,
entlang des kleinen Sonnenblumenfeldes,
passiere die wilden Apfelbäume am Wegesrand,
welche den Vögeln und Feldnagetieren im Winter
noch gute Vorräte werden liefern können,
vorbei an den Ausbauarbeiten der Waschbär-
(oder Fuchs-) (oder Dachs-) Familie und fühle
mich auf meinem Rückweg, vorbei an den noch
schlafenden Bienenvölkern, mit jedem tiefen Atemzug
genau so, wie man sich immer fühlen sollte.

Ganz genau so.
















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