30 April 2025

so gut Du konntest


Und morgens um 7 wache ich auf, und da bist Du wieder,
nach Monaten bist Du mal wieder da, in meinem Kopf.

Erinnerungen an Dich laufen nach einem bestimmten
Ritual ab - als allererstes entsinne ich mich der schönen
Momente, die wir als Sohn und Vater hatten.

Es geht dabei um die erste Einfärbung der nun kommenden
Gedanken.
Es geht um "es gab auch diese schönen Momente früher!"
als bewusste Erkenntnis, gleich eingangs einer Kette von
Erinnerungen.

Und es geht um die Quintessenz des Werkes von Byron Katie.

Nicht, dass ich mit ihren Techniken und den "4 Fragen" immer
d'accord wäre, aber ich bin es definitiv mit ihrer Konsequenz.

Diese ist sinngemäß:

"Was ist, sollte man besser lieben, denn es kann
schmerzhaft sein, sich mit der Wirklichkeit anzulegen.
"


Und an anderer Stelle:

"Wie Du behandelt wurdest, was Dir widerfahren ist, kannst
Du nicht ändern, aber Deinen eigenen Umgang damit
kannst Du ändern.
Wenn Du das tust, gewinnst Du die Kontrolle über Deine
Gefühle und Gedanken zurück.
Tust Du es nicht, hast Du die Entscheidung getroffen, es
nicht zu tun, und dann musst Du mit Deiner Entscheidung,
weiter verletzt zu sein, auch leben."


Auf die eigenen Eltern bezogen bedeutet das für mich,
dass ich von folgender Grundvoraussetzung ausgehen will:

"Sie haben getan, was ihnen in dem Moment möglich war.
Sie haben es so gut getan, wie sie konnten.

Nicht, dass es gut im absoluten Sinne gewesen wäre.
Aber so gut es ihnen eben möglich war.

Nicht, dass das eine Sichtweise wäre, welche die Mehrheit
der Außenbetrachter als WAHR bezeichnen würde.

Aber sie ist eine, die mich sanft darüber nachdenken und
schlafen lässt und von allen möglichen Sichtweisen ist es
gewiss jene, die mir am meisten Schmerzen erspart."


Weil ich nie das Gefühl hatte, meine Mutter wirklich 
gekannt zu haben, hatte ich bei der Scheidung meiner Eltern
entschieden, bei Dir bleiben zu wollen.

Es gibt von "Euch" fast keine Erinnerung.
Ich kann mich an keine 5 Momente erinnern, wo ihr je
auch nur im gleichen  Raum gewesen wärt.

Es gab keinen Urlaub mit Euch als Eltern, keinen einzigen
gemeinsanen Spaziergang, nur eine handvoll Erinnerungen
mit Euch überhaupt, und eine davon als schwere Gewalttat.

Vieles von dem, was meine Kindheit ausmachte, wurde mir
im Nachhinein von Dir erzählt, und sehr sicher ist eine Menge
davon falsch oder zumindest so nie passiert.

Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter mich auf
keinen Fall bekommen wollte und Du Deine eigentliche Freundin
verlassen musstest, weil Dein Seitensprung schwanger war mit mir.

Immer noch unglaublich, dass Du mir das erzähltest,
als ich noch ein Kind war.

Oder wie Du bis zum etwa 4. Lebensjahr wohl nichts anfangen
konntest oder wolltest mit mir - was Deiner Aussage nach aber
normal sei und wissenschaftlich erwiesen, dass das bei
allen Vätern so sei.

Eure Scheidung, der Rosenkrieg mit jeglichem nur denkbarem
Hass und Härten dem Anderen gegenüber.

Wie Du den gegnerischen Anwalt, der früher mal Deiner war,
im Gerichtssaal zusammengeschlagen hast und der Familienrichter
sich von innen in Panik im Richterzimmer einschloss.

Die Unfähigkeit oder fehlende Bereitschaft, Deinem Kind
für ihn Unpassendes zu ersparen.

Wie zum Beispiel Deine Nächte, wenn Du Dich mit dem Gewehr
nachts aus dem Haus schlichst und durch die Dunkelheit des
Hochwildschutzparkes zogst, um Dir das Leben zu nehmen.

Wie Du Deine panischen Unbeherrschtheiten in luftabdrückenden
Umarmungen mit mir abreagiertest, wenn ein Pfändungsbrief von
einer der Banken oder ein Vollstreckungsbeschluss ins Haus
geflattert waren.

Ich erinnere mich an das Nachtlicht im Flur was Du mir
wegnehmen wolltest, um mich nicht zu veweichlichen.
Was musste ich kämpfen für dieses Licht.

Die zu wenigen Umarmungen, die ich bekam.
Dann aber wieder vor Allem aber dieser eine wundervolle
Moment beim sonntags Spazierengehen.

In eisiger Winterkälte, aber bei strahlend blauem Himmel,
alle Felder um uns herum voller Eis und Schnee.

Du mit dem braunen dicken Ledermantel mit dem Fellkragen,
und ich in dicker Jacke, mit vor eisiger Kälte tränenden Augen,
aus Leibeskräften Dir entgegenlaufend,
in Deine weit geöffneten Arme.

Genau hier:



     Dieser eine Moment und diese eine Umarmung.

Die halten.
Die halten gegen alles dagegen.
Die sind, was bleibt.
Von dem ich will, dass es bleibt.

Etliche Jahre erst nach Deinem Tod habe ich meinen Frieden
geschlossen mit Dir, mit uns, mit dem, was war.

Es gibt nun keinerlei Groll, kein Unverständnis mehr,
kein "was hatten Andere in der Zeit?" und kein "hätte es nicht auch?".

Dein Verhalten anderen Menschen gegenüber, egal ob Deinen
Kindern oder Partnerinnen gegenüber, Nachbarn, Fremden,
es war nie ein gesundes:
Du warst pathologisch, und man macht Kranken keinen Vorwurf.

Ich hab viel ferngesehen als Kind.
Später war ich viel im Web.
Und weiß daher:
Andere hatten es schlimmer.
Viel schlimmer.
_____________________________________________________

Also, lass uns für heute zum Ende kommen:

   Du hast es gut gemacht.

Alleinerziehender Vater, in einer Welt, die restlos alles
vermissen ließ, was Dir an Werten und Idealvorstellungen
wichtig war, das muss hart gewesen sein.

Ich bin nun selbst in jenem Alter, in dem Du einen Zehnjährigen
am Bein hattest, und kann schon ohne Kind bestätigen:
Leben ist manchmal ne fiese Sau.
Aber ein bisschen Byron Katie hätte auch Dir gut getan.

Nochmal, in tiefstem Gemütsfrieden:
   Du hast es gut gemacht.

So gut Du konntest.

Und ich?

Habe heute Nachtlichter.
In jedem Gang und jedem Zimmer.

14 Kommentare:

  1. DEine letzten beiden Sätze sind ganz am Ende der Reise jedes Einzelnen Glaubensbekenntnis:

    Macht es mich wütend *ODER* ist Frieden gut und wichtig und in mir verfügbar?
    Denn es geht nicht beides.

    Katie und die weiteren von Dir angesprochenen Autoren formulieren es -glaube ich- minimal aber entscheidend anders:

    Nicht man selbst ist das Problem, aber
    man selbst ist die Problemlösung (und zwar die einzig mögliche).

    In dieser Formulierung bin ich bereit, zuzustimmen.
    Andernfalls nicht, und an dieser Stelle verabschiede ich mich auch regelmäßig von Byron Katie:
    Die Umkehrung in die "4 Fragen" empfinde ich als nicht zielführend, und von Menschen, die missbraucht wurden oder einen Arm etc. verloren haben zu erwarten, dass sie sich selbst erst einmal als festen Teil der Ursache ansehen, finde ich erstens zu viel verlangt und zweitens nicht lösungsorientiert in dem Sinne, wie ICH eine Lösung verstehe.

    AntwortenLöschen
  2. Frieden bei Dir ist gut. Ich überlege noch für mich.

    Wûtend machen mich solche Erzählungen, weil man sich nicht wehren kann als Kind.

    Es geht um die Änderung der Wahrnehmung, andere Blickwinkel. Man hat es immer selbst in der Hand. Das Das finde ich manchmal zu einfach gedacht als Lösung.

    AntwortenLöschen
  3. Das genau war auch meine Einstellung dazu.
    Jahrzehntelang.

    Bis ich für mich einsah, dass es außer mir keinen gibt, der dabei helfen könnte zu ändern, was mich bedrückt. Wenn also sämtliche Probleme nur (und nur) in MEINEM Kopf stattfinden, dann können sie doch auch nur dort behandelt werden? Unabhängig vom Verursacher?

    AntwortenLöschen
  4. Dieser Post hat mich sehr berührt. Danke dafür.

    Und ich finde deine Sichtweise sehr gesund.
    Byron Katie habe ich nicht gelesen.
    Ich halte mich stattdessen an die Inspirationsposts von Liebesbotschaft und schätze, die Quintessenz ist ähnlich, besonders bei ihrer Haltung zur Vergebung.
    Falls es dich interessiert:

    https://www.liebes-botschaft.com/2018/09/warum-vergebung-die-maechtigste-waffe-und-der-groesste-schluessel-zur-freiheit-ist-und-die-einzige-option-fuer-dich.html

    Ina.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke Dir sehr, liebe Ina.
      Und ich bin mir fast sicher:Wir kennen uns.
      Aus früheren Blogs und Geschichten.

      Danke auch für den reminder, dass es LiebesBotschaft noch gibt!! Ich habe sie Jahre nicht gelesen. Dabei wohnte sie „quasi gleich nebenan“ im Ort, damals.
      Man verliert eben leider auch die lieben Menschen manchmal aus den Augen…auch jene, die man stets gerne gelesen hat.

      Ich freue mich, dass die leiseren posts in der Lage sind, leisere Stimmen zum Sprechen zu bringen :-).

      Löschen
    2. Ja, ich lese schon lange mit (gern erinnere ich mich an die Marmeladengrafik ;-)).
      Allerdings kommentiere ich überwiegend nur in meinem Kopf – aber ich lese regelmäßig und schätze deinen Blog sehr. Vielen Dank dafür!
      Ich hab sogar noch einen Zählerstand-Wunsch offen – was lange währt… 

      Und Joanna ist über die Jahre zu meiner wichtigsten Inspirationsquelle geworden.
      Ich hab mich nun sogar nur wegen ihr bei Insta angemeldet um das wochentägliche Morning Briefing nicht zu verpassen.

      Viele Grüße. Ina.

      Löschen
    3. Witzig - über genau DIESE GRAFIK hatte ich letzte Woche eine Unterhaltung mit einer anderen Bloggerin!

      Ich bin (inzwischen) zu doof für Excel, genauer gesagt für die schönen Tortendiagramme, ABER ich bekam einen wertvollen Hinweis in diesem Treffen (ChatGPT), wie ich das evtl. wiederbeleben könnte.

      Was Deinen BlogCounter-Wunsch angeht:
      Er ist nicht verjährt!

      Zwar brauche ich immer noch EWIG um diese Dinge abzuarbeiten (seit Monaten warten Ronny und Muschelmädchen schon), aber Wünsche werden nicht vergessen :-).

      Löschen
  5. Late to this party, aber in einem Punkt möchte ich Dir ausnahmsweise mal widersprechen: Nein, andere hatten es nicht "viel schlimmer"! Andere hatten es vielleicht AUCH schlimm. Schmerz kann nicht gegeneinander gemessen und verglichen werden, vor allem nicht der Schmerz eines Kindes. Der Schmerz, den Du empfunden hast, ist so real und groß, wie er eben ist. Für DICH war er schlimm. Da gibt es kein "Aber andere ...!"
    Mögest Du immer ein Licht in der Dunkelheit haben!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Never too late to a party :-D.

      Ich weiß gar nicht mal, ob ich als Kind Schmerz empfunden habe?
      Es müsste wohl so sein, erinnern kann ich mich aber nur an wenige solche Momente. Es sind eher die traurigen Momente bzw. jene des an-die-Erwachsenenwelt-ausgeliefert-Seins, die mir in den Sinn kommen.

      Für mich gab es immer dieses "Andere haben es sicherlich schlimmer gehabt", da geht es gar nicht um ein "Aufrechnen", aber um ein "wo stand ich mit meiner Kindheit eigentlich?"

      Löschen
    2. Und was gewinnst Du dadurch, dass Du dich da irgendwie einordnest?

      Löschen
    3. Gemeinschaft (auch anonyme) stärkt - zu sehen, dass Andere auch nicht haben, was sie sich wünschen, schafft eine gemeinsame Erlebenssituation.
      Und auch DIE kommen morgens pünktlich in die Klasse und auch DIE können in den Pausen lächeln und auch DIE werden irgendwas groß und "schaffen es".

      Ich fände es weitaus desillusionierender, wenn alle anderen IHRE Träume erfüllt bekämen und nur ich nicht.

      Umgekehrt ziehe ich eine gewisse Erleichterung daraus, nie missbraucht worden zu sein, wenig geschlagen worden zu sein, eine zeitlang eine gute Zeit gehabt zu haben mit wenigstens einem Elternteil - das ist nicht Nichts, das ist nichts, was man als selbstverständlich annehmen dürfte.
      Das Internet ist voll von weitaus schlimmeren Geschichten.

      Löschen
    4. Okay, dieser Argumentation kann ich folgen.
      Mir geht es nur darum, die eigenen Emotionen und durchlebten Erfahrungen nicht klein zu reden.

      Löschen
  6. Ich komm jetzt auch mal hinterher ....
    Es ist schön und gut, wenn an seinen Frieden machen kann. Das steht ausser Frage. Das wünsche ich auch jedem.
    Ich - für meinen Teil - konnte meinen Eltern nicht verzeihen. Die "postmortalen Unannehmlichkeiten" (z. B. Erbschaftsauseinandersetzung) geben mir recht und beweisen wieder einmal, dass ein schlechter Mensch durch seinen Tod nicht besser wird. Und ich lebe gut mit meiner Einstellung.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Im Prinzip entsteht fast alles Leid in der Welt dadurch,
      dass Menschen Ihrem letzten Satz nicht wahrheitsgemäß zustimmen können - Sie leben mit ihrer Einstellung, aber eben nicht gut, und das merkt man.

      Ein schlechter Mensch wird keinesfalls durch seinen Tod besser
      - die Welt wird es aber schon :-).
      Es ist mein "finales Geschenk" an meinen Vater, dass
      ich heute so über die Zeit denke, wie ich es tue.

      Löschen

Hinterlassen Sie dem Feuervogel an dieser Stelle gerne Ihre Gedanken:
Er freut sich über Ihre achtsame Wortwahl, einen freundlichen Ton und Ihren von Miteinander beseelten Gedankengang.
Und in allen anderen Fällen löscht er kommentarlos.
Falls Sie Probleme haben Ihren Kommentar angemeldet abzugeben: Suchen Sie in Ihren Browsereinstellungen nach "Cookies von Drittanbietern blockieren" und deaktivieren Sie diese Option.