Erinnerungen.
Erstaunlich, was für Kleinigkeiten im Alltag
sie sofort wieder auf eine Art hervorzaubern können,
die man nicht für denkbar gehalten hätte.
So unerwartet. Unvorbereitet.
Eine etwas unsauber ausgeführte Fingerbewegung in
Richtung meines Postkarten-Briefmarken-Post-its- und
Gänsefedersammelstelle-Ständers auf dem Büroschreibtisch
führt dazu, dass dieser umfällt und mir entgegen kullert.
In der Folge schwappen mir lawinesk sämtliche Zettel,
Postkarten, entwertete Eintrittskarten, bunte Büroklammern,
der Ziegen-Stempel aus besseren Blog-Zeiten und eine stolze
Sammlung an eigenhändig aufgelesenen Gänsefedern
scheppernd entgegen, dabei sich wie eine Gerölllawine
quer über meinen Schreibtisch verteilend, um dort nach nur
einer Sekunde Lärm am neuen Platz zur Ruhe zu kommen.
Faszinierend, was da so ausgebreitet vor mir liegt.
Da ist die handgeschriebene liebevolle Postkarte mit meinem Namen
in Großbuchstaben vorne drauf sowie alle weiteren Karten,
Glückwünsche, Zettel der tollen F+ -Frau.
Da liegt die Saunabad-Eintrittskarte der Ostalb-Firma VOITH
aus den 60er Jahren, noch unbenutzt.
Dort steckt die Postkarte mit dem Comic von dem Mädchen
mit dem Benzinkanister in der Hand, das sich denkt
"Heute zünde ich die ganze Scheiße an.".
Darunter der DIN A8-Briefumschlag mit handgeschriebenen kleinen
Lebensweisheiten meiner damals 18-jährigen Kurzzeitfreundin.
Und da die beiden Schiedsrichterkarten: Eine rotorange und eine grüne.
Ich presse ein wenig die Lippen zusammen und denke an Dich.
Und wie diese Karten in unsere Ehe kamen.
Die zweite Psychotherapie hatte ebenso wenig "Erfolg" wie die erste
gebracht, aber es gibt ein paar wenige denkwürdige Momente
aus dieser Zeit.
Die Therapeutin diagnostiziert, dass Teil meines Problems das
nicht genügend zur Verfügung Stehen von "Zeit für mich" ist.
Sie empfiehlt mir, dies deutlich nach außen zu artikulieren,
verbal und nonverbal, auch und gerade in unserer Ehe.
Beispielsweise soll ich ich auf meinen PC-Bildschirm eine grüne Karte
stecken, wenn ich problemlos angesprochen und beansprucht werden kann
und die rote, wenn ich für mich allein sein muss und Zeit ohne
Unterbrechung für meine Verarbeitung und Gedanken brauche.
Natürlich nach Absprache und Kommunikation mit Dir, was
diese Karten bedeuten und wobei sie mir -und Dir- helfen sollen.
Das funktioniert und geht gut. Genau eine Woche.
Danach überfährst Du die rote Karte regelmäßig und bringst Deine
oder auch unsere Anliegen so vor, wie es Dir passt, auch -und am
liebsten- wenn es MIR gerade NICHT passt.
Und wenn ich Dich erst höflich, später dann nicht mehr höflich auf die
dort stehende rote Karte hinweise, erwiderst Du "die steht ja immer da,
wenn's danach geht, kann ich lang warten. Nie bist Du für mich
ansprechbar!".
Vielleicht habe ich die grüne Karte damals wirklich zu wenig gezeigt.
Vielleicht war ich wirklich nicht mehr ansprechbar für Dich.
Vielleicht war Deine Schroffheit nur Ausdruck Deiner Verzweiflung,
Deinem Partner nicht helfen zu können.
Vielleicht wolltest Du Dir damals schon nicht eingestehen, dass Du Dich
nach einem funktionierenden, in Deinen Werten und Vorlieben zuhause
befindlichen Partner sehntest, der Dir Halt zu geben vermocht hätte,
so wie Du Halt verstehst und der das, was Du zu geben hattest, ebenso
als Halt und Liebe verstanden hätte.
Und dann sammle ich alle Postkarten, Zettel, Federn und Einstrittskarten
wieder fein säuberllich zusammen, stecke Briefmarken, Büroklammern
und bunte selbstklebende Zettel zurück in das Ordnungssystem, das
diesem Namen keine Ehre macht und schiebe zum Schluss die beiden
bunten Karten ganz nach hinten in die hinterste Ecke des Postkartenhalters.
Und dann denke ich so schweigend vor mich hin:
Ich hoffe, es geht Dir gut.
Ein bisschen kann ich die Exgattin verstehen - es ist einfach Mist und man fuehlt sich sehr allein gelassen, wenn der Partner nicht erreichbar ist oder auch nur subjektiv nicht erreichbar scheint.
AntwortenLöschenWas mir an der an sich guten Idee mit den roten und gruenen Karten auffaellt: Sie beruecksichtig nur (D)eine Seite, die andere Seite hat sich danach zu richten.
Da fehlte irgendwie, was die Exgattin denn dann mit ihren Anliegen haette machen sollen, wenn Du auf "Rot" bist.
Das haette man, waere Kommunikation (noch) moeglich gewesen, bestimmt loesen koennen, zB. mit einer Art "Briefkasten", in den die Anliegen kommen, und abends wird sich verbindlich immer zu einer bestimmten Zeit zusammengesetzt und alles abgearbeitet. Das darf dann aber auch nicht gecancelt werden, damit nichts unter den Tisch faellt.
Wundert mich, dass die Psychologin da nicht drauf eingegangen ist.
(Und ok - auch bei dieser Loesung muessten _beide_ mitmachen _wollen_).
Und der Gedanke, dass es Euch jetzt hoffentlich irgendwie beiden besser geht, ist doch ein versoehnlicher.
PS: So ein Erinnerungskramkaestchen habe ich auch. Immer wieder schoen, zufaellig drueber zu stolpern, innezuhalten und zu laecheln :)
Es ist stets ratsam, schwierige Repliken nicht in den ersten 48 Stunden abzusenden. So was lernt man btw auch beim Militär - ich spüre oft, dass genau DAS einer Menge junger Menschen / Männer heute fehlt.
LöschenNun also der Reihe nach:
Den "ich war nicht erreichbar" sehe ich nicht so, den muss ich aber wahrscheinlich kaufen.
Vielleicht war die ausgestellte "rote Karte" sogar hin und wieder auch ein Test, ob persönliche Belange von mir überhaupt berücksichtigt werden würden. Ob es "gesehen" werden würde.
Vielleicht hätte mir das Vertrauen, mich darauf verlassen zu können, tatsächlich offener werden lassen können, in einer nicht von Vertrauen und offener Aussprache gezeichneten Partnerschaft.
Die diesen Namen somit eigentlich nicht verdient hatte.
Was die Ex-Gattin hätte machen sollen, wenn ich auf "rot" stand?
Das, was vereinbart war und was ein drölfzig Millionen anderer Ehen (so mein Wunsch) auch funktioniert, und zwar OHNE rote und grüne Karten:
"Ich sehe, es geht Dir gerade nicht gut und Du bist für Sachabsprachen im Moment nicht erreichbar, macht nichts, ich komme später wieder" :-).
Stattdessen Machtspielchen a la "ich will das jetzt aber besprechen" und "ich habe Anspruch darauf dass Du jetzt funktionierst".
Und die schöne Idee eines Briefkastens funktioniert eben auch nur, wenn BEIDE ihn nutzen.
Wenn nur einer ihn nutzt und der andere sagt "Nee wieso? ICH bin doch in Ordnung, ich hab doch nix!?",
welche Schlussfolgerung für zukünftige Zettel zieht der Andere?
ja.
AntwortenLöschengenau deswegen schrieb ich doch "oder auch nur subjektiv nicht erreichbar scheint" (Du schriebst ja selbst "Vielleicht war ich wirklich nicht mehr ansprechbar für Dich."), waere Kommunikation (noch) moeglich gewesen und "auch bei dieser Loesung muessten _beide_ mitmachen _wollen_".
Ihr wart anscheinend sowieso schon an einem punkt, wo, wie sagt es der lifestylephilosopheninder so schoen, alles "fucked beyond repair" war... und so nonverbale kommunikationsmittel gehen halt auch nur, wenn vorher die verbale kommunikation stimmig stattgefunden hat und es fuer beide passt.
aber fuer sie... passte es wohl einfach nicht mit den karten. vielleicht hat es sich fuer sie nach zurueckweisung angefuehlt oder was weiss ich. ich wollte nur die sicht- bzw fuehlweise der anderen seite etwas versuchen zu verstehen.
(und vielleicht, aber nur vielleicht, habe ich auch mal wieder ein wenig zu viel projiziert. ich war ja mit so einer wandelnden dauerroten karte verheiratet)
LöschenSo sind empathische Menschen eben :-).
LöschenEin gutes Zeichen, bei Lichte betrachtet!
Ich habe lange darüber nachgedacht. Der Text wiegt mir zu schwer und jede Formulierung eines Kommentars habe ich verworfen. Helfen Therapien wirklich? Dafür muss man Dinge ehrlich sagen können?! Wenn man das weder kann, noch möchte oder sich grundsätzlich für wissender hält, ist das dann hilfreich?
AntwortenLöschenGenau das war der Punkt: Zwei der drei genannten Antworten wären von mir kontraproduktive gewesen.
LöschenMein Anspruch an jede Therapie war ganz einfach, und nur diese eine Anforderung habe ich auch immer zu Beginn einer Behandlung exakt so formuliert:
"Ich möchte, dass Sie mich auf etwas bringen, -eine Sichtweise, eine Position, einen Gedankengang, eine Lösungsstrategie- auf die ich nicht schon selber gekommen bin."
Das war offensichtlich als Erwartung bzw. Wunsch zu hoch gegriffen.
Für meine Person (und nur für diese möchte ich sprechen) kann ich die Kontakte zu den insgesamt drei Psychotherapeuten als "in Summe nicht hilfreich" bewerten.
"Ich möchte, dass Sie mich auf etwas bringen, -eine Sichtweise, eine Position, einen Gedankengang, eine Lösungsstrategie- auf die ich nicht schon selber gekommen bin."
LöschenGenau das. Beschreibt hervorragend mein Problem mit dem Berufsstand.