Faszinieren mich.
Wie die meisten Menschen habe ich vor allem
im Modus "wartend" die Zeit auf ihnen verbracht.
Zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu sein
macht mir sonst nichts aus - ich bin gerne pünktlich:
Pünktlichkeit ist geäußerte Wertschätzung.
Bei Bahnhöfen aber stresst es mich: Hier nicht pünktlich zu sein
zieht meist sehr unangenehme Konsequenzen nach sich.
Das wissen auch alle Anderen um einen herum.
Alle hetzen, mit ihren Koffern, ihren Rucksäcken.
Schon die Einfahrt in die Tiefgarage löst Fluchtgedanken aus:
Davor versperren die Ultrakurzparker illegal die TG-Einfahrt.
Die wissen schon warum: Gratis parken geht nur lächerliche 15 min.
Danach, Zack, zwei Euro, im Idealfall.
Also erst mal Slalomfahren um die Deppen herum, rein in die Einfahrt,
und dann:
7 komplette enge Vollkreise in der steilen Abwärtsspirale fahren,
bis man endlich am Bahnhofsparkdeck ankommt.
Es hat Monate Gewöhnung und Geliebte abholen gedauert,
bis ich den Kotzreiz an der Kartenschranke nicht mehr in mir hatte.
Dann geht's weiter zur Zone 14, der Bahnparkzone.
Unterwegs wird ca. 9x die alberne "KISS & RIDE"-Werbung plakatiert,
die ein Kurzzeitparken für sich verabschiedende Pärchen in Park&Ride-
Anlehnung darstellen soll.
Und die gleichermaßen klischeehaft wie antiquitiert wirkt:
Eine leicht slutty wirkende bauchfreie Hermine,
ein tätowierter Nerd mit lächerlich zu groß gefotoshoptem Kopf,
eine BlowJob-Lippen-Asiatin die bei KISS AND RIDE an zur Gänze
andere Services denken lässt und (nicht im Foto) ein QN* mit Afrolook
in weißem Strickpullover.
Alle werfen einen Kussmund in die Kamera und da muss ich jetzt
doch fast noch kotzen.
Richtig - weil das obligatorische blaue-Kurzhaar-Nasenring-
body-positivity- transgender-model mit BMI 40 fehlt.
Und ohne es wäre jene fucking Clown-world-diversity-Parade
in unserer Werbung heutzutage eben nicht komplettiert.
Ich fahre zwei Stockwerke mit dem Fahrstuhl, in den keine
3 Leute reinpassen (geschweige denn mit Koffern) bis nach oben
und trete an die frische Luft.
Was am Hauptbahnhof halt so frische Luft heißt.
Ab hier ist Hektik und das gegen diese Ankämpfen angesagt.
Vor der Ukraine-Auffangstation ist die Hölle los.
Auf dem Weg zu den Gleisen herrscht in jedem Menschen Eile
und man muss Slalom laufen, will man Kollisionen vermeiden.
Der alte Bahnhof, mit dem wir noch einige Jahre leben werden,
hat 16 Gleise.
Die Fernzüge kommen meist ganz weit hinten an.
Also: Einmal komplett durch alle Menschentrauben durch.
Ich stelle mich an eine halbwegs geschützte Stelle und warte.
Sobald an einem der Gleise ein Zug ankommt und seine Reisenden
ausspuckt, geht Gerenne und Gehetze los - fast kein Zug ist hier
pünktlich, alle müssen bangen, ihre Anschlussverbindungen zu erreichen.
Das Geschehen, was ich hier stets beobachte und was die Bahn hier
den zahlenden Passagieren zumutet, hat für mich etwas zutiefst
Entwürdigendes und Erbärmliches, vom Zustand des alten Bahnhofs,
dessen Nachfolger schon vor Jahren hätte eingeweiht werden sollen,
und an dem aus ebenjenem Grund auch seit Jahrzehnten nichts mehr
in Ordnung gebracht wurde, einmal ganz zu schweigen.
Den Bahnbediensteten an den Gleisen ist keinerlei Unruhe anzumerken.
Nahezu alle, die ich sehe, stehen in kleinen uniformierten Grüppchen
beieinander und sind entweder übergewichtig oder geradezu comichaft
adipös. Manche quellen aus ihren Uniformen schon heraus.
Aber man merkt ihnen an:
Sie sind die Verwalter, Begleiter des Geschehens hier, nicht die
Verantwortlichen, und sicherlich zeigen sie keinen erkennbaren
intrinsischen Wunsch, Menschen bei der Suche nach ihren Zügen
oder Gleisen behilflich zu sein.
Ich warte weiter, natürlich bin ich viel zu früh hier.
Den Gedanken, dass jemand schon da ist und auf mich warten muss,
den ertrage ich nicht.
Es ist kalt, zugig, aus den wenigen Backwarenverkaufsstellen stinken
die Inhalte der Heißthekenwaren, die an der Grenze des zulässigen
Lebensmittelbegriffs operieren und vor denen sich frierende Menschen
immer wieder zu den Bahnhofsuhren schauend die kalten Beine in den
Leib stehen, bevor sie endlich dran sind, mafiös überteuerte Kauprodukte
erwerben zu dürfen.
Immerhin durchschwirren mich nun auch positive Gedanken,
an diesem Ort hier fallen mir in 5 Minuten 5 neue Gesetztesvorlagen ein,
die ich als König von Deutschland sofort erlassen würde.
Es sind noch ein paar Minuten, bis ihr Zug eintrifft.
Wehmütig denke ich an den Sommer zurück.
Im Sommer war es hier immerhin warm und hell.
Die Frauen liefen raschen Fußes in teilweise kurzen Kleidern und
Röcken oder bauchfrei durch den Bahnhof, alle trugen Masken,
macnhmal auch Sonnenbrillen.
Sonnenbrille und Maske sind total gut geeignet, um belästigungsfrei
fremden Frauen auf die Brüste und auf ihre Füße in Heels zu glotzen,
ohne wie ein Creep zu wirken.
Das ist tatsächlich das positive, was mir zu Bahnhöfen so einfällt:
Im raschen Lauf schwingende Titten und freie Beine im Sommer.
Da kommt ihr Zug!
Als er anhält, wird es noch etliche Minuten dauern, bis ich sie erspähe.
Rasch nehme ich ihren Rollkoffer und ihre Hand, schnellen Schrittes
geht es zum Kartenautomaten, ich will hier weg.
Sie kennt das inzwischen schon, meine Anspanung hier, meine daraus
resultierende Wortkargheit, mein etwas künstliches Lächeln.
Natürlich ist nur ein Automat hier oben.
Natürlich nimmt er nur Kartenzahlung, der Münzschacht ist zugeklebt.
Natürlich könnte man auch ein Stockwerk tiefer an den Anderen.
Aber der war in 9 von 10 Fällen die letzten Monate defekt.
Wer jetzt keine Kreditkarte dabei hat, der muss zum dritten Automaten.
Doch der ist ganz unten in der Tiefgarage - und nirgends beschildert.
Wie oft habe ich schon da unten parkende Besucher aufgegabelt,
die verzweifelt nach der oben noch ausgeschilderten Möglichkeit suchten,
mit ihren Münzen das Parkticket auszulösen, was schon daran scheitert, dass
das im Fahrstuhl noch als "Weiterer Parkautomat im UG2 !" benannte
Stockwerk gar nicht (mehr) existiert - es heißt nun P2.
Da stehen sie nun wieder, mit offenen Münden und ihren zunehmend
teurer werdenden Parktickets in der Hand, im Halbdunkel umherirrend
wie Zombies, begegnen auf ihrer Suche zwar 9x ihnen Kussmunde
zuwerfende Plakatfiguren, die sie zum Küssen und Reiten auffordern,
aber nirgends den verheißenen Ticket-Automaten findend.
Wir huschen aus der letzten Tür in gelb, vorbei an den 15 freien Parkplätzen,
auf denen in 4 Jahren noch kein einziges Mal eines der dort versprochenen
Mietverleihautos stand, dafür aber Reisenden mit schwerem Gepäck die
besten Parkplätze mit den kürzsten Laufwegen wegnehmend, und zwängen uns
durch die geparkten Limousinen und SUVs zu meinem Auto.
Als unsere Türen zuklappen, atme ich sehr tief und langsam aus.
Ich schließe kurz die Augen und halte beide Hände fest ans Lenkrad.
Sie grinst hörbar von der Seite und tätschelt meine rechte Hand.
"Ruuhiiig, Daddy!"
Halb grimmig halb lächelnd schaue ich zur Seite mit gezogener Augenbraue.
5 Schaltergriffe, dann rollt der Wagen zurück.
Auf dem Weg zur Schranke fährt mir dank offensiver Vorfahrt-Ausnutzung
so ein Arschlochfahrer im Großwagen** mit überhöhter Geschwindigkeit
um ein Haar noch in meinen Karren.
Damit bin ich bedient für hier und heute am Bahnhof.
Ab nach Hause.
Als wir nach den 7 engen Nanga Parbat-esquen Kurven endlich
das Tageslicht erblicken, sage ich dem in diesem Minuten wieder
sehr hochgeschätzten Dienstwagen "Bring uns nach Hause!",
dann startet das Navi und ich schalte World of Warcraft-Musik ein.
Der Puls sinkt,
die Klimaanlage leistet,
die Musik wirkt,
meine Hand wird getätschelt.
Zum Glück ist daheim schon das Bier kalt.
noch von selber drauf.
** Hausaufgabe zum Arschlochfahrer:
Erraten Sie Fahrzeughersteller, Modelltyp
und vom KFZ-Kennzeichen den ersten (einzigen) Buchstaben.
Na kommen Sie, das wird leicht!
Auflösung:
BMW | X5 | M (für München)
Bahnhöfe, die sind das Einstiegslevel ... Wirklich Fortgeschrittene überleben es, die Partnerin am Flughafen Düsseldorf abzuholen ... Ohne das Auto zu verlieren, ohne die Partnerin umzubringen und ohne vollends zu verzweifeln wenn man zum vierten Mal die falsche Spur erwischt hat. Gut, das Wiedersehen fällt dann nicht so romantisch aus, wie die Frau sich das erhofft hatte. Aber Hauptsache, man hat die Frau gefunden. Und genug Geld in der Tasche um für fünfzehn Minuten Parken gefühlt einen halben Wochenlohn in einen Automaten werfen zu können. ;-)
AntwortenLöschenGebt mir Bahnhöfe, jederzeit!
Eine Frau, die sich allen Ernstes ein ROMANTISCHES WIEDERSEHEN an einem FLUGHAFEN versprochen hat, muss sich zu Recht den Vorwurf gefallen lassen, ein klein wenig teeniehaft strukturiert zu sein im Oberstübchen^^.
LöschenAber Sie liegen völlig richtig:
Der halbe Wochenlohn und ca. 1.000 verlorene Haare (plus 5.000 frisch ergraute) sollten hinreichend Liebesbeweis sein, da bedarf es keinerlei Bonusromantik am P12 ;-).
Und wenn sie immer noch meckert, darf man GERNE mal dezent darauf hinweisen, dass NICHT JEDE Frau zuverlässig und pünktlich am Flughafen abgeholt wird.
Dann passt mein erster Kommentar ja sehr gut zum ankommen!
AntwortenLöschenIch bin sehr froh, dass ich Ihren neuen Blog wieder gefunden habe. Habe zwar nicht ernsthaft gesucht, aber Sie sind mir schon abgegangen, nun schon zum zweiten Mal!
Und sofort habe ich alle Beiträge gelesen.
Es schaut aus, als wären Sie wieder auf den Beinen gelandet.
So wünsche ich Ihnen viel Glück und freue mich, wieder regelmäßig hier lesen zu dürfen.
Vielen Dank für die sehr interessanten Anregungen und Denkanstösse.
Flo
Ich entschuldige mich sehr, Flo - tatsächlich hätte ich den Esel-Blog so vom Style her wirklich gerne behalten, aber er hat mich...nun ja, fast meine Existenz gekostet. Na, selber Schuld.
LöschenEs erfüllt mich immer mit sehr positiven Gefühlen und Gedanken, wenn ich mitbekomme, dass jemand meinen Blog binged und gleich mal ALLES liest! :-)
Danke :-*