18 Dezember 2022

beim Kartoffeln schälen


Wenn ich in der Küche stehe und Kartoffeln schäle,
denke ich immer an die gleiche Erinnerung, und sie
lässt mich auch nach all den Jahren immer noch lächeln.

Ich bin vielleicht 9 oder 10 Jahre alt, zu diesem Zeitpunkt
lebt mein Vater schon mit mir alleine, von wechselnden
Frauenaufenthalten bei uns zuhause einmal abgesehen.

Wir stehen zusammen in der Küche, ich auf einem kleinen
Hocker, damit ich besser an die Arbeitsfläche rankomme.
Wir schälen Kartoffeln, ich mit meinem Beatles-Haarschnitt,
und mein Vater neben mir, ohne Schürze.

Er hat es geschafft, mich für das Kartoffelschälen zu begeistern,
mit einem kleinen feinen Trick hat er das, und zwar sagte er
mir auf den Kopf zu, dass ich es nicht schaffen würden, eine
Kartoffel mit dem Schäler in genau 10 Zügen komplett
frei zu schälen!

Das kann der kleine Junge natürlich nicht auf sich sitzen
lassen, also nimmt er sich unter den grinsenden Augen seines
Vaters eine Kartofel nach der anderen vor, bis er das System
perfektioniert hat:

Erst 2 Schälstriche auf der Nordkappe,
dann 2 Schälstriche auf der Südkappe,
blieben noch 6 Schälstriche, um die Kartoffel rundherum
nackig zu machen!

Und es gelingt, immer unter den lächelnden Augen meines
Vaters, bei besonders dicken Kartoffeln muss ich an Nord-
und Südkappe mit jeweils nur 1 Schälstrich auskommen, weil
ich die restlichen 8 für den dicken Kartoffelbauch benötige.

Ich würde dann auf den Kappenseiten einen kleinen Trick
anwenden und die Polkappen in einer Kurvenbewegung
schälen, um aus dem einen Schälstrich möglichst viel Effekt
herauszuholen!
Und mein Vater würde dann wie ein Santa Claus "HoHoHo!"
rufen und einwenden, dass das geschummelt sie und nicht zähle.

Ab und an würde mein Vater mir auch eine fertige Kartoffel aus
dem Kochtopf nochmals zurückreichen, weil ich in meinem Eifer,
auch ja unbedingt genau 10 Schälstriche zu verwenden,
so manches Mal ein wenig die Sorgfalt vernachlässigt hatte.

Dann würde ich minimal schmollend nacharbeiten, doch bald
wäre alles fertig und der Topf könnte aufgesetzt werden, 
wir würden uns die Hände waschen, gemeinsam,
meine kleinen Hände innen, seine großen Hände außen um
meine drum herum und dann würden wir sie feste im Handtuch
abrubbeln und wir würden uns noch auf meinem kleinen Hocker
stehend umarmen und festhalten.

Daran muss ich denken, immer, wenn ich Kartoffeln schäle.

Ich muss es, obwohl es gar keine Erinnerung ist.
Das da ist nie passiert.
Kein einziges Mal.
Nie stand mein Vater mit mir in der Küche, und wir haben
deshalb auch nie gemeinsam am Herd gewerkelt.

All das ist nie geschehen.
All das ist nur in meinem Kopf.
Wie so Vieles, was es nur dort gibt.
Und das dort einen Zweck erfüllt.

So sehr habe ich mich an diese schöne Phantasie gewöhnt,
dass sie fast schon zu einer Erinnerung geworden ist.
Zu einer, die das, was war, in sanft leuchtende und warme
Farben getaucht hat.

In Farben, die ich lieb gewonnen habe.




2 Kommentare:

  1. Du bist nicht alleine damit, erfundene Erinnerungen im Kopf umher zu tragen ;-)

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    1. Ich kann kaum zum Ausdruck bringen, wie SEHR mich solche Kommentare...tatsächlich zu beruhigen vermögen.

      Eine wirklich lange Zeit hatte ich den Eindruck: Damit bist Du der Einzige, halt besser die Klappe.

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